Ist das wirklich ein original barocker Bauernschrank?

[reas]

Gibt es da so etwas wie ein Standardwerk?

Ich habe leider kein Buch...schaue mir aber sehr viele Möbel im Netz an und zwar nur von Restauratoren.
Wenn man auch selber ein Möbelstück inspiziert kann man einiges Entdecken.

Dein Schrank z.B. müsste Holznägel und oder geschmiedete Eisennägel haben ( bis auf die evtl. ausgetauschten neuen)
Holznägel wurden lange verbaut aber handgeschmiedete nur bis ca. 1850.
Ein Restaurator hat mir gesagt dass er noch kein Möbel gesehen hat das nach 1850 gebaut wurde und handgeschmiedete Nägel hätte.
Dann gibt es oft Handsägespuren, verlaufen schräg und in unregelmäßigen Abständen.
Deine Rückwand könnte auch Spuren vom Schupphobel haben, kann es leider auf dem Foto nicht erkennen...

[gerümpel]

Hallo! Ich bin wie meine Vorredner sicher, dass der Schrank alt ist. Auch beim Preis brauchst du dir keine Sorgen zu machen, der ist ok. Bei Ikea bekommst du keinen Massivholz Schrank für diesen Preis. Ob dieser Schrank aus dem späten 18. Jahrhundert oder aus dem frühen 19. Jahrhundert stammt, ist schwer zu sagen. Die Gestaltung der Bretttüren mit den imitierten Bastionsfüllungen zeigt ins späte 18. Jahrhundert, die kleinen Fitschenbänder eher ins 19. Jahrhundert. Sicher sind die Füße neueren Datums. Das ist ebenso wie bei der Kranzleiste auch nicht verwunderlich, denn alles was übersteht an einem Möbel geht auch zuerst kaputt. Das Schloss ist alt, ob es zum Schrank gehört kann man nicht sagen. Auf jeden Fall ist der Schloss Beschlag und der Schlüssel bei der letzten Restaurierung hinzugekommen. Der Schlüssel ist eine moderne Bastelei aus hart gelöteten Eisenteilen . Auch das Innenleben ist zweifelsfrei bei dieser Gelegenheit erst eingebaut worden. Vermutlich bis zu diesem Zeitpunkt auch die Bemalung des Schrankes, die er mit Sicherheit gehabt hat, abgelaugt worden. Damit ist zwar die originale Farbigkeit verloren gegangen, aber die Holzwürmer haben dabei auch ihr Leben gelassen. Das Schlossblech und die gedrückten Kugelfüße sind Standardprodukte aus dem Restaurierungsbedarf.
Die Ergänzungen an deinem Schrank halten sich in engen Grenzen. Insofern hat der Händler dir nichts Falsches erzählt. Vielleicht hätte er dich auf das moderne Innenleben oder die anderen modernen Zutaten hinweisen können, aber aber die sind so gering, dass man den Schrank noch als Antiquität bezeichnen kann. Ich hoffe du hast viel Freude mit deiner Neuerwerbung!

[redlionking]

Die Gestaltung der Bretttüren mit den imitierten Bastionsfüllungen zeigt ins späte 18. Jahrhundert, die kleinen Fitschenbänder eher ins 19. Jahrhundert.

Aha, Bastionsfüllungen ist sogar ein nachvollziehbarer Begriff dafür - wieder was gelernt! Die kleinen Fitschenbänder sind vllt. später reingekommen. Man sieht zumindest noch den Lichtschatten eines Türbandes an der Innenseite der Tür.

[redlionking]

Das Schlossblech und die gedrückten Kugelfüße sind Standardprodukte aus dem Restaurierungsbedarf.

Woran sieht man denn, dass das Schlossblech neu ist?

[reas]

Das Schloss ist alt, ob es zum Schrank gehört kann man nicht sagen.

Nein gehört es nicht, es sind eindeutig Spuren zu sehen dass ein anderes größeres Schloss verbaut war, genauso gilt das gleiche für die Fitschenbänder..
Und wenn ich mir das Schloss anschaue und es mit meinem vergleiche bin ich mir nicht sicher dass es sehr alt ist sondern ein Nachbau nach antiker Vorlage...
Irgendwie wirkt das Metall ziemlich glatt und scharfkantig aber am besten kann es eventuell @redlionking vergleichen

IMG_20200730_185754~2.jpg (151.72 KiB) 196 mal betrachtet

[gerümpel]

Ja, liebe Reas, du hast Recht, das Schloss ist, ebenso wie die Fitschenbänder, nicht original. Also können wir an diesem Schrank schon drei "Bauphasen" trennen:
Entstehung des Schrankes mit geschmiedeten, gekröpften Langbändern, geschmiedeten Riegeln und offenem Schloss im späten 18. Jh. Später vermutlich irgendwann im 19. Jh. Erfolgte ein Umbau auf die Fitschenbänder, dabei auch die Schubriegel erneuert und vermutlich auch die Nägel am Boden in die Zinken geschlagen und dann drittens irgendwann in jüngster Vergangenheit die Erneuerung der Kranz- und Fußleiste, der Füße, des Schlosses und der Schlossbeschläge. Bei der Gelegenheit wurden dann auch die diversen Farbschichten, die sich in 200 Jahren angesammelt hatten, entfernt und die Einbauten eingefügt.